Donnerstag, 28. August 2008

Überblick und Einführung in die Analytische Druckforschung



1. Einleitung
2. Ziele der Analytischen Druckforschung
3. Geschichte
4. Methoden der Druckanalyse
5. Papier
5.1. Papierformate
5.2. Papiersorten und -qualität
5.3. Wasserzeichen
6. Drucktypen
6.1. Klassifikation der Druckschriften
6.2. Bestimmung unfirmierter Drucke durch Typenvergleich
6.3. Das Typenrepertorium von Konrad Haebler
6.4. Druckinitialen
7. Die Druckform und ihre weiteren Bestandteile
7.1. Begriffsüberblick
7.2. Bogensignatur, Bogennorm, Prime und Sekunde
7.3. Kolumnentitel
7.4. Zeilenzahl, Schusterjunge und Hurenkind
7.5. Abbreviaturen und Ligaturen
7.6. Druckform
7.7. Lage
8. Varianz
8.1. Wichtige Begriffe
8.2. Varianzarten
8.3. Satzindifferente Varianz
8.4. Satzinterne Varianz
8.5. Satzdifferente Varianz
9. Kollationierungsmethoden und -geräte
10. Notationsarten, wie Fingerprint und Lagenformel
11. Fazit
12. Literaturliste


1. Einleitung
In der Druckforschung gilt, dass der Handsatz mit bleiernen Lettern so individuell und unverwechselbar ist wie eine Handschrift. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Die ersten Drucker gossen bis Mitte des 16. Jahrhunderts ihre Drucktypen noch selbst. Jeder Drucker der Frühzeit des Drucks hatte daher eine unverwechselbare Schrift, an der man die Werkstatt noch heute erkennen kann. Auch die jeweiligen Nachfolger der Drucker verwendeten oftmals den Typensatz weiter. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts übernahmen allmählich Schriftgießer das Herstellen von Typenmaterial und verkauften dieses an die Druckereien.
Aber auch nachdem sich die Berufe bei der Druckherstellung zunehmend ausdifferenziert hatten, verfügte noch jede Druckerei über ihr "eigenes" Typenmaterial. Der Grund: Durch den hohen Anpressdruck, der innerhalb der Druckpresse auf die Typen mit ihren oftmals sehr filigran beschaffenen Serifen einwirkt, entstanden kleinere Beschädigungen an den Lettern. Diese so genannte Korruptelbildung lässt ein ganz individuelles Druckbild entstehen.
Ein weiterer Grund muss in der handwerklichen Tätigkeit des Setzers gesehen werden: Damit er den Text in Blocksatz setzen konnte, musste er zwischen die Wörter Spatien, d.h. "Leerzeichen" setzen. Die Verteilung dieser Spatien war nicht immer gleich, sondern ergab sich während des Setzens und war daher immer ein wenig dem Zufall unterworfen. Dadurch wurde jede Auflage einmalig. Mit Mitteln des Handsatzes kann daher ein einmal erstellter Satz nicht 1:1 reproduziert werden. Man unterliegt daher einem Irrtum, wenn man in Verbindung mit Drucken aus der Handsatzzeit (Ende: Erfindung der automatischen Setzmaschine 1886, sog. Linotype, durch Otto Mergenthaler) von "Mehrfachexemplaren" oder "Dubletten" spricht. Erst der Vergleich mehrerer Exemplare einer Auflage macht es nämlich überhaupt möglich, zu bestimmen, ob die gedruckte Textgestalt der Intention des Autors entspricht, oder durch Fehler am Satz entstanden ist.
Dass oftmals kleinste Änderungen des Druckbildes den Sinn entstellen können, zeigt das folgende Beispiel [1]:


Hier kann die Buchwissenschaft einen philologischen Beitrag bei der Textrekonstruktion liefern. Aber auch zum Zwecke der Datierung und Identifizierung eines Drucks leistet die Analytische Druckforschung einen wertvollen Beitrag: So gab es in der Geschichte des Buchdrucks zwar viele Versuche, (Erst-)Auflagen zu kopieren (siehe Raubdruck), jedoch lässt sich durch Methoden der Kollationierung ermitteln, ob es sich um Neusatz handelt oder nicht.
Der folgende Text will einen Überblick über die wichtigsten Begriffe, Methoden und Werkzeuge bei der Ermittlung von Druckvarianz und Druckidentität geben: nicht zuletzt für den Antiquariatsbuchhandel, aber auch für buchwissenschaftliche Fragestellungen sind die Methoden der Analytischen Druckforschung ein wesentliches Werkzeug zur Bestimmung eines Druckwerks.
Da eine Beschreibung der Analytischen Druckforschung immer eine Beschreibung des gesamten Buchherstellungsprozesses ist, geht dieser Text auf wichtige Aspekte und Materialien wie Papier, Wasserzeichen, Typen, Druckinitialen, Lagenstruktur und die geschichtliche Entwicklung der Druckforschung ein.


2. Ziele der Analytischen Druckforschung
Es können vier wichtige Aufgabenbereiche der Analytischen Druckforschung bestimmt werden:

Erstens: Unterscheidung von verschiedenen Ausgaben eines Druckwerks aus einer Druckerei: Dies ist, denkt man an wertvolle Erstausgaben, besonders im Antiquariatsbuchhandel von höchster Wichtigkeit.
Zweitens: Datierung und Firmierung von Drucken: Durch Typenanalyse und Typenvergleich mit bereits erschlossenen und bestimmten Typen können Drucke mit fehlendem Impressum bestimmt werden.
Drittens: Rekonstruktion von nicht mehr vorhandenen Originaltexten, die nur noch in Abschriften und Abdrucken vorhanden sind. Oftmals liegt bei historischen Texten der Originaltext des Autors nicht mehr vor. Sofort fallen einem das Nibelungenlied oder die Canterbury-Tales oder die Erforschung der Shakespeare-Drucke ein. Welcher der überlieferten Druckzeugnisse dem Original am nähesten kommen, kann durch druckanalytische Methoden ermittelt werden.
Viertens: Rekonstruktion von Arbeitsabläufen einer Offizin. Damit ist der gesamte handwerklich-technische Bereich des Druckens gemeint. So hat Charlton Hinman 1960 durch Druckbildvergleich der Fist Folio Gesamtausgabe der Werke W. Shakespeares, die 1623 gedruckt wurde, unter anderem nachgewiesen, dass mindestens fünf Setzer an der Herstellung beteiligt waren. Dies gelang durch das Auffinden von schadhaften Einzeltypen, die in einer wiederkehrenden Reihenfolge innerhalb des Drucks auftraten, aber auch durch den Vergleich der Kolumnentitel, die je Druckform gleich bleiben. Bei der Erforschung der Gutenberg-Bibel z.B. durch das HUMI-Projekt/Mari Tomioka [2] erhellt die Analytische Druckforschung zudem Arbeitsabläufe bei der Drucklegung.


3. Geschichte
[3] Die Anfänge der Analytischen Druckforschung liegen in den bibliophilen Neigungen der großen Sammler des 17. und 18. Jahrhunderts in England. Dank ihnen haben sich viele unterschiedliche Exemplare von Werken erhalten, die in die Sammlungen großer Bibliotheken gelangt sind und dort sehr detailliert vergleichend untersucht werden konnten. Besonders die Shakespeare-Forschung, die im 18. Jahrhundert begann, gilt als Initialzündung für dieses Forschungsinteresse, da keine handschriftlichen Zeugnisse des Autors erhalten sind, die Auskunft über seine ursprünglichen Formulierungen und Intentionen geben könnten. So werden die Drucke untersucht, vor allem die First-Folio-Ausgabe, - das ist die erste Gesamtausgabe der Werke Shakespeares, die sieben Jahre nach dessen Tod mit einer Auflage von 1.000 Exemplaren gedruckt wurde. Heute sind noch ca. 230 Exemplare erhalten, unter denen 40 Textvarianten festgestellt wurden. Hier stellt sich natürlich die Frage: wie kommt es zu den Unterschieden, welcher Art sind sie und vor allem: was kommt dem Original am nähesten? Mit der Zeit wurde aber auch mehr und mehr die Frage interessant, welche Informationen man aus diesen Unterschieden über den Druckprozess erfahren kann. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Forschungsrichtung von England aus und wurde besonders in den USA aufgenommen.

Die Analytische Druckforschung in England
Wegbereiter:
William Blades (1824-1890)
Henry Bradshaw (1831-1886)
Robert Proctor (1868-1903)
1892: Gründung der Bibliographical Society in London
Wichtige Vertreter:
Alfred William Pollard (1859-1944)
Ronald Brunless McKerrow (1872-1940)
Sir Walter Wilson Greg (1875-1959)
Heutige Forscher:
Lotte Hellinga
Paul Needham

Die Analytische Druckforschung in den USA
1927: Gründung der Bibliographical Society of America (BSA)
Wichtigster Vertreter:
Fredson Thayer Bowers (1905-1991)
Heutige Forscher:
G. Thomas Tanselle
Terry Belanger (Rare Book School, Virginia)

Die Analytische Druckforschung in Deutschland
Wegbereiter:
Friedrich Adolf Ebert (1791-1834)
Wichtige Vertreter:
Konrad Haebler (1857-1946)
Gustav Milchsack (1850-1919)
Gustav Adolf Erich Bogeng (1881-1961)
Martin Boghardt (1936-1998)
Heutige Forscher:
Herbert Kraft (*1938)
Christoph Reske

4. Methoden der Druckanalyse
Folgende Arbeitsschritte nennt Martin Boghardt [4] :
a. bibliographische Erfassung: Verzeichnung aller typographischen und physischen Merkmale.
b. bibliogenetische Erschließung: technische Deutung der Merkmale, Vergleich aller zur Verfügung stehenden Exemplare einer Auflage.
c. textbezogene Deutung: Einfluss des Drucks auf die Textgestalt.

Die bibliographische Erfassung stellt das notwendige Grundgerüst für alle weiteren Forschungen dar: auf dieser Ebene werden alle typographischen und physischen Merkmale verzeichnet, d.h. die
- die "primären" bibliographischen Angaben: Autor, Titel, Ort, Jahr, etc.- Angaben zur Forschungsliteratur- Beschaffenheit des Papiers- Typen- Lagenbildung- Einband- Provenienzeinträge- usw.

Die bibliogenetische Erschließung meint zum einen die technische Deutung der Merkmale, und zum anderen den Vergleich aller zur Verfügung stehenden Exemplare einer Auflage (Varianz-Untersuchung): Rekonstruktion der Herstellung, Datierung, usw.
Die textbezogene Deutung schließlich untersucht den Einfluss des Drucks auf die Textgestalt.

5. Papier
Für Veränderungen des Druckbildes müssen nicht ausschließlich beschädigte Typen die Ursache sein, auch Faktoren wie die Beschaffenheit der Oberfläche des Papiers, die Verwendung von unterschiedlichen Papiersorten oder Papierbeschädigungen dürfen als mögliche Gründe für Varianz innerhalb des Druckbildes nicht ausgeschlossen werden, sondern müssen näher untersucht werden.

Grundsätzlich gilt, dass jeder Wechsel von Papiersorten innerhalb eines Drucks oder einer Auflage ein erstes Indiz für möglichen Neusatz, Varianz, Ersetzungen usw. sein kann.


Erst weiterführende Untersuchungen erhärten oder verwerfen eine These. Merkmale zur Erkennung unterschiedlicher Papiere sind beispielsweise:

- Längs- und Querrippen in uneinheitlichem Verlauf
- Unterschiede in der Qualität/Sorte (Zusammensetzung)
- Wasserzeichen, die ein Indiz für Druckvarianten und Datierungsfälschungen sein können

Das folgende Bild zeigt ein Schöpfsieb mit aufgelegtem Deckelrahmen. Die Wasserzeichenschrift ist spiegelbildlich angebracht:


Hier sieht man die Rippenstruktur (meist aus Kupferdraht), mit den dünnen Längsrippen und den dicken Querrippen, die von oben nach unten verlaufen. Der Abstand zwischen den Querrippen beträgt ca. 2-3 cm.
Auf dieser schematischen Abbildung sieht man die Struktur genauer:


Auf der Siebseite des geschöpften Papiers wird man genau diese Struktur wieder erkennen.

5.1. Papierformate
Mit diesen Informationen kann man in den meisten Fällen das natürliche Format eines Buches bestimmen. Es nennt sich auch das bibliographische Format und lässt sich nicht durch Messen bestimmen, sondern nur durch die Falzung des Bogens:

Wenn man einzelne Seiten gegen das Licht hält und sieht, dass die Querrippen senkrecht verlaufen, kann man davon ausgehen, dass man ein einmal gefalztes Blatt, also ein Folio-Format vor sich hat, denn das Schöpfsieb hatte die Größe eines Folio-Doppelblattes.Verlaufen die dicken Rippen in einer Lage waagerecht, wird es sich um ein Quartformat (4°)handeln, weil ein Bogen für dieses Format 2x gefalzt wird.


Das Oktav (8°) hat wiederum senkrechte dicke Rippen, usw. Ob es sich um ein Folio (2°) oder Oktav handelt - beides Formate mit senkrechten Querrippen – kann anhand der unterschiedlichen Größe der Bücher ohne Probleme per Augenmaß bestimmt werden:



Auch die Wasserzeichen befinden sich je nach Format an unterschiedlichen Stellen, da die Position auf dem Sieb immer gleich war: es befand sich stets in der Mitte von einer der beiden Siebseiten, meist der linken.


So würde der geschöpfte Papierbogen für ein Quartformat verwendet werden: man sieht, dass sich das Wasserzeichen dann genau im Falz befindet und nur schwer zu erkennen ist, gerade auch, weil sich die Zeichen oft nur minimal unterschieden. Beim Oktav wäre es ähnlich, da befindet sich das Zeichen an den äußeren Ecken.

Neben dem bibliographischen Format, das also durch die Anordnung und Falzung der Bögen bestimmt wird, gibt es auch ein messbares Format: Das ist das bibliothekarische Format:

Hierfür gibt es die Festlegung, dass alle Bücher mit einem Buchrücken von weniger als 25 cm Länge als Oktav kategorisiert werden, alle Bücher mit einer Rückenhöhe zwischen 25 und 35cm als Quart und alle höheren Bücher als Folio.

5.2. Papiersorten und -qualität
Unterschiedliche Papiersorten erkennt man an der Zusammensetzung. Das ist nicht immer ganz einfach, weil sich die Rohstoffe und die Rohstoffmischung meist nicht ohne Hilfsmittel erkennen lassen. Eindeutig ist nur zu sagen, dass Papier aus Holzschliff oder mit einem hohen Holzschliffanteil von schlechter Qualität ist, da das Papier durch das Lignin im Holz schnell gelb und brüchig wird. Zellulose und Hadern sind als Rohstoff wesentlich haltbarer.

5.3. Wasserzeichen
Besonders hilfreich zur Datierung eines Papiers oder zur Bestimmung einer Papiermühle/ eines Herstellers ist die detaillierte Untersuchung der Wasserzeichen. Das früheste bekannte Wasserzeichen wurde 1282 in Bologna verwendet.

Hilfsmittel zur Wasserzeichenbestimmung sind die Werke von 2 Forschern:
Charles Moise Briquet (1839-1918): Schweizer Papierfabrikant1907 erschien sein 4-bändiges Werk Les Filigranes mit insgesamt 16.112 originalgroßen Wasserzeichen in alphabetischer Ordnung. Die Sammlung geht bis zum Jahr 1600; man kann ein Zeichen bis auf +/- 10 Jahre genau bestimmen.

Gerhard August Karl Bickert, genannt „Piccard“ (1909-1989):
1961 erschien sein 25-bändiges Werk, Grundstock der Online-Datenbank nach sachlichen Zusammenhängen geordnet. Die Sammlung verzeichnet Zeichen vom Ende des 13. Jh.s bis 1650; man kann Zeichen bis auf +/- 4 Jahre genau bestimmen.


6. Drucktypen
Bei der Ermittlung exemplarspezifischer Besonderheiten eines Drucks gilt es nicht nur Buchschmuck, Provenienzeinträge, Kaufpreise, Einbandstempel, fehlende Seiten und Lagen zu verzeichnen, sondern auch Veränderungen im Druckbild zwischen einzelnen Druckvariationen. Oftmals ist beschädigtes Typenmaterial die Ursache. Daher wenden wir uns zunächst der kleinsten typografischen Einheit, der Type oder der Druckletter, zu. Drucktypen können Buchstaben, Satzzeichen, Leerzeichen, Abbreviaturen, Ligaturen, Initialen usw. sein. Zunächst werden kurz die gebräuchlichsten Druckschriften genannt und die Erkennungsmerkmale aufgezählt.
6.1. Klassifikation der Druckschriften
Grob gesagt lassen sich die Druckschriften in runde und gebrochene Schriften einteilen.
A. Runde Schriften1. Renaissance-Antiqua
2. Barock-Antiqua
3. Klassizistische Antiqua



B. Gebrochene Schriften
1. Textura
2. Rotunda/Gotisch/Rundgotisch
3. Schwabacher
4. Fraktur


Zu den runden Druckschriften gehören die Antiqua-Schriften. Zu den wichtigsten gebrochenen Druckschriften gehören die Textura, die Gotische, die Schwabacher und die Fraktur.

Renaissance-Antiqua
Bereits 1469 wurde die Renaissance-Antiqua von den italienischen Erstdruckern Konrad Sweynheim und Arnold Pannartz verwendet. Bekannt ist die Polipilus-Antiqua-Type, die Francesco de Bologna für Aldus Manutius schnitt. Diese wurde 1530 von Claude Garamond weiter veredelt. Die Renaissance-Antiqua ist zu erkennen an der schrägen Achsstellung der Rundungen.
Barock-AntiquaDie Barock-Antiqua ist unter anderem durch den Drucker John Baskeville bekannt. Sie ist zu erkennen an einer fast senkrechten Achsstellung der Rundungen.

Klassizistische Antiqua
Die klassizistische Antiqua war besonders zu Zeiten der Aufklärung beliebt. Hier ist die Bodoni-Antiqua zu nennen. Erkennungsmerkmal ist die senkrechte Achsstellung der Rundungen. Im 12.-14. Jh. war die gotische Minuskel die gebräuchlichste Buchschrift. Für liturgische Zwecke wurde eine besonders statisch und ornamental wirkende Variante, die Textura entwickelt. In Italien, Südfrankreich und Spanien fand diese strenge gotische Form wenig Anklang, weshalb sich dort eine runde Schriftform, die Rotunda, entwickelte.

Textura
Die Textura ist am beidseitig gebrochenen O zu erkennen.

Rotunda
Die Rotunda erkennt man an der schrägen Achsstellung und der Rundungen der Kleinbuchstaben. Sie ist der Antiqua am ähnlichsten.

Schwabacher
Die Schwabacher ist die Schrift der Bauernkriege und der deutschen Frührenaissance. Zum Beispiel wurde die Schedelsche Weltchronik mit der Schwabacher gedruckt. Merkmale: Das kleine o hat spitze Ecken und eine senkrechte Achsstellung und ebenfalls Rundungen an den Seiten. Weiteres Erkennungsmerkmal: Das kleine g sieht oftmals aus wie ein durchgestrichenes „y“.

FrakturDie Fraktur entstand Ende der Renaissance. Das kleine o ist auf einer Seite gebrochen auf der anderen rund.

6.2. Bestimmung unfirmierter Drucke durch Typenvergleich
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, verwendeten die Drucker bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts selbst hergestellte und gegossene Typen. Durch Vergleich des Druckbildes eines firmierten mit einem nicht firmierten Druck kann man die Offizin eines unbekannten Drucks anhand des Druckbildes erkennen. Bradshaw und Robert Proctor waren die ersten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts systematisch damit begonnen hatten, Drucktypen aus der Inkunabelzeit zu klassifizieren. Den systematischsten Ansatz verfolgte aber Konrad Haebler.

6.3. Das Typenrepertorium von Konrad Haebler
Das Typenrepertorium von Konrad Haebler [5] verzeichnet in typisierter Form 101 M-Majuskeln und verknüpft diese mit Druckern, Druckwerken und Druckstädten. Zur Bestimmung benötigt man eine M-Majuskel (…dieses Zeichen hat die größte Ausdifferenziertheit). Als nächstes misst man mit einem Lineal 20 Zeilen und schlägt dann die Tabelle der ermittelten "M"–Form auf und versucht, die Variante mit der passenden Zeilenhöhe zu finden. Nicht immer stehen aber 20 Zeilen zur Verfügung. Bei der Herstellung von Drucken, die für liturgische Zwecke, wie das Verlesen der Messe, gedacht waren, wurde mit besonders großen Typen gedruckt. Oft können daher nur 10, oder gar nur 5 Zeilen vermessen werden. Haebler verzeichnet für diese Fälle entsprechend 10 oder 5 Zeilen. Die Zeilenanzahl ist jedoch immer mit der Maßangabe gemeinsam angegeben.




(Seite aus der Schedelschen Weltchronik)

Was ist mit den Drucken des 16. Jahrhunderts und später?
Haebler hatte Drucke aus dem 15. Jahrhundert erfasst. Aber auch zur Bestimmung von Drucken aus dem 16. Jahrhundert kann diese Methode genutzt werden. So verwendete Johann Schöffer, Sohn von Peter Schöffer d.Ä. die Drucktypen seines Vaters weiter. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ist ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Type und Drucker nicht mehr möglich.

6.4. Druckinitialen
Ebenfalls sehr hilfreich bei der Firmierung von Drucken kann es sein, die Druckinitiale mit bereits verzeichneten und einem Drucker zugeordneten Initialen zu vergleichen. Dazu dient z.B. das Verzeichnis der Druckinitialen des Konrad Haebler [5]. Dank seiner anschaulichen Sprache liefert er eine gute Beschreibung der häufigsten Typen von Druckinitialen. Er unterteilt diese grob in gemusterte und verzierte Initialen. Von gemustert spricht er, wenn die Initiale die Buchstabenform nicht verlässt, von verziert, wenn die Form der Initiale durch Schnörkel die normale Buchstabenform überschreitet.

Überblick über wichtige Bezeichnungen:

Lombarden, voll, nicht voll, mit und ohne Perlen
Xylographische (=in Holz geschnittene) I.
Kalligraphische I.
Kontur-I.
I. mit figürlicher Darstellung im Inneren
I. auf weißem Grund (=Umrahmung)
I. auf gemustertem Grund
I. aus Tierfiguren gebildet
I. aus menschlichen Figuren zusammengestellt
Zierinitiale mit Blattwerk
Zierinitiale mit Menschenkopf
Zierbuchstaben auf geschrotetem Grund

Beispiel für eine volle Lombarde mit Perlen:


Beispiel für gemusterte Zierinitialen auf gemustertem Grund:
Beispiel für eine reichverzierte Lombarde:
Beispiel für eine Zierinitiale mit Blattwerk, weiß auf schwarz:



7. Die Druckform und ihre weiteren Bestandteile
Das kleinste eigenständige Element ist die Seite. Sie ist Bestandteil des Blattes, das gehört wiederum zu einem Doppelblatt, dieses ist Teil des Druckbogens, aus dem entweder allein eine Lage gefalzt wird, oder das mit anderen Druckbögen zu einer Lage zusammengelegt wird, um schließlich in einen Buchblock gebunden zu werden. Jede Seite bietet Platz für eine oder mehrere Kolumnen, einen Kolumnentitel, eine Zeile, die sich überhalb der Kolumne befindet, Leerräumen zwischen dem Blattende und den Kolumnen, Bundsteg, Außen-, Kopf- und Fußsteg genannt, gedruckten Anmerkungen, die sich seitlich der Textkolumnen befinden und oftmals in einer kleinereren Schrift gesetzt worden sind, Kustoden, Bogennormen, Seitenzahlen, um die wichtigsten Bestandteile zu nennen.






7.1. Begriffsüberblick
Die wichtigsten Begriffe, die man für die Beschreibung braucht, sind:

Kolumne
Kolumnentitel
Bundsteg
Außensteg
Kopfsteg
Fußsteg
Marginalien
Durchschuss
Seitenzahl (Paginierung) bzw. Blattzahl /Foliierung
Kustoden
Bogensignatur = Bogenzahl
Bogennorm = Autor, Kurztitel, Aufl.



7.2. Bogensignatur, Bogennorm, Prime und Sekunde
Auf dem Druckbogen sind Bogensignatur und -norm 2x als Prüfzeichen für den Buchbinder vermerkt: Auf der Seite eines Druckbogens, die nach der Falzung am Anfang stehen soll, steht die Prime: das ist eine Kombination aus Bogensignatur und Bogennorm. Auf der Seite eines Druckbogens, die nach der Falzung die dritte Seite sein soll, ist die Sekunde vermerkt: das ist noch mal die Bogensignatur allein.



Bei Druckbögen für ein Oktavformat würde das so aussehen wie hier:
Die Folie zeigt auch gleich 2 weitere Fachbegriffe: die Schöndruckseite und die Widerdruckseite: Die Schöndruckseite ist diejenige, die zuerst unter die Presse kommt (erster Druckvorgang, Vorderseite), entsprechend die Widerdruckseite die, die danach gedruckt wird (zweiter Druckvorgang, Rückseite)

7.3. Kolumnentitel
Auf der letzten Grafik kann man Reklamante, Foliierung, Marginalien und - das ist bei Altbeständen üblich: einen zweiteiligen Kolumnentitel (auch Kopfzeile) finden. Der Kolumnentitel ist unter druckanalytischen Gesichtspunkten von besonderem Interesse. Dieser ist nämlich, ähnlich wie wiederkehrende Zierleisten gut geeignet zu weiterführenden Untersuchungen: Man kann erforschen, ob Kolumnentitel und Zierleisten wegen Arbeitsersparnis in der Druckform erhalten blieben, wenn neue Kolumnen gesetzt wurden. Es wurde ja bereits darauf hingewiesen, dass ein Neusatz nie ganz dem Vorbild gleicht, so dass man durch einen Vergleich erkennt, ob der Titel neu gesetzt oder stehengelassen wurde.

Durch die Wiederkehr satzidentischer Kolumnentitel kann man ermitteln, mit wie vielen Druckformen gearbeitet wurde und in welchem Rhythmus sich der Druckprozess vollzog. Zum Beispiel des Oktavdrucks: wenn aufeinander folgend 16 Kolumnentitel festgestellt werden, die leicht in ihrer Position variieren, danach aber sich diese Variation in gleicher Weise wiederholt, d.h. wenn der Kolumnentitel der Seite 17 identisch ist mit dem der ersten Seite, dann schließt man daraus, dass der Drucker mit genau 2 Druckformen gearbeitet hat. Mit dem Hinman-Collator lässt sich dies beispielsweise feststellen - mit bloßem Auge wären die Unterschiede wohl nicht zu erkennen.


Die Kolumne sollte immer über den ganzen Druck hinweg über eine feste Zeilenanzahl auf jeder Seite verfügen. Zur Vermeidung eines Schusterjungen oder Hurenkindes ist eine Ausnahme möglich. Von einem Schusterjungen spricht der Setzer, wenn die erste Zeile eines Absatzes zugleich die letzte Zeile der Seite ist. Das Hurenkind ist entsprechend die letzte Zeile eines Absatzes, die zugleich die erste Zeile einer neuen Seite ist. Sofern es zu Zeilenschwankungen kommt, die nicht zur Vermeidung von Schusterjunge und Hurenkind entstanden sind, muss von Fehlern bei der Berechnung des Satzes oder anderen Unregelmäßigkeiten während des Druckvorgangs ausgegangen werden. Auch diese Merkmale charakterisieren eine Auflage.


7.5. Abbreviaturen und Ligaturen

Was in solchen Fällen auch auftritt, ist eine nachträgliche Kürzung oder Erweiterung des Textes zur Platz- oder Papierersparnis bei nachträglicher Auflagenerhöhung oder wegen falscher Vorauskalkulation. Charakteristisch für Satzberechnungsfehler sind:

Abkürzungen (= Abbreviaturen) und Zusammenziehungen (=Ligaturen)


7.6. Druckform
Die Druckform ist die größte typographische Einheit. Für verschiedene Bogenformate stehen dem Drucker verschiedene Druckformen zur Verfügung. Das Schema der Druckformen ist daher formatspezifisch:
Ein Oktavformat aus einem Druckbogen wird zum Beispiel 3x gefalzt, so dass man 8 Blätter, bzw. 16 Seiten erhält. Beim Oktavdruck war in der Regel die zeitgleiche Verwendung von 4 Druckformen üblich. Das ist der Text für zwei Bogen, also für 32 Seiten. Bei einem 320 Seiten starken Buch war das gerade mal ein Zehntel des „Satzes“, der angefertigt werden musste.
7.7. LageDie Drucker setzten den Text nicht seiten- sondern lagenweise, wobei man mit der inneren Lage begann:



Bei dieser Abbildung wären das die Seiten 6 und 7, gefolgt von 5 und 8 im Widerdruck. Beim Folio war es üblich, Lagen aus 3 Bogen zu bilden, die entsprechend der Papiergröße je 1x gefalzt waren. So erhielt man Lagen mit je 12 Seiten.
Für die Lagen gibt es verschiedene Bezeichnungen, die besonders bei Handschriften und Frühdrucken verwendet werden:

Als Binio bezeichnet man eine Lage aus 2 Doppelblättern,
Ternio
hat
3 Doppelblätter,
Quaternio 4,
Quinio 5,
Sexternio 6.

Dickere Lagen als das Sexternio kommen sehr selten vor. Das Thema Lage wird im Kapitel Notation noch mal aufgegriffen, dann geht es um verschiedene Möglichkeiten zur Verzeichnung der Lagenstruktur in einem Buch.




8. Varianz
Mit dem Begriff Druckvarianz beschreibt die Analytische Druckforschung Unterschiede im Druckbild von Exemplaren, die Ergebnisse eines geschlossenen Druckprozesses sind und daher Teile einer(!) Auflage sind. Diese Unterschiede sind das Ergebnis von Eingriffen oder Veränderungen der Druckform und zwar vor, während oder nach dem Druckprozess. Notwendig wurden diese Eingriffe z.B. durch Beschädigung einzelner Typen, aber auch durch Satzkorrektur während des Drucks; es war bis ins 19. Jh. in Offizinen üblich, keinen ersten und zweiten Probedruck anzufertigen, sondern Fehler während des Drucks der Auflage zu beheben.

Der einfachste Weg, Druckvarianten zu ermitteln besteht darin, verschiedene Exemplare eines Druckwerks miteinander zu vergleichen;erst durch diesen Vergleich kann festgestellt werden, ob es sich bei einem Druck um ein Exemplar einer Auflage, oder um ein Exemplar einer anderen Auflage handelt. Auch kann durch das Auswerten von Druckvarianten ermittelt werden, ob der Druck am Anfang, oder eher am Ende der Drucklegung hergestellt wurde.


Ohne das Vorhandensein mehrerer Exemplare/Druckvariationen einer (vermeintlichen) Auflage ist der Vergleich allerdings nicht möglich. Die Rekonstruktion des Druckprozesses eines Drucks wäre idealtypisch am exaktesten möglich, wenn sämtliche Exemplare(!) einer Auflage vorlägen, was in der Realität so nie der Fall ist. Daher gilt für die Ermittlung von Druckvarianten, dass im Idealfall so viele überlieferte Exemplare einer Auflagen herangezogen werden müssen, wie möglich.


8.1. Wichtige Begriffe
Zunächst werden die vier wichtigsten Begriffe erläutert, die im Folgenden häuftig verwendet werden: Auflage, Abdruck, Ausgabe und Satzzustand.

Auflage (edition) : Gesamtheit aller Exemplare, die zum überwiegenden Teil aus ein und demselben Satzvorgang stammen.
Abdruck (impression) : die Exemplare, die zu einem bestimmten Zeitpunkt von einem Satz abgezogen wurden, d.h. eine Auflage kann mehrere Abdrucke umfassen, wenn der unveränderte Satz nach einer gewissen Zeitspanne erneut eingesetzt wird.
Ausgabe (issue) : die Exemplare, die als eine bewusst geplante Einheit gedruckt und publiziert wurden.
Satzzustand (state) : alle gewollten oder ungewollten Variationen innerhalb eines Druckes.
Es gibt vier verschiedene Varianzarten, die durch diese vergleichenden Untersuchungen festgestellt werden können. Dazu gehören 3 Arten druckinterner Varianz, nämlich satzindifferente Varianz, satzinterne Varianz, satzdifferente Varianz und als 4. der satzdifferenten Druck (Neusatz).





8.3. Satzindifferente Varianz
Satzindifferente Varianz entsteht nicht durch Veränderung des Satzes, sondern durch die Verwendung unterschiedlicher Materialien, wie zum Beispiel unebenes Papier, auf dem die Druckerschwärze unvollständig haftet und so das Druckbild verändert.

Merkmalsprofil für den Fall "Satzindifferente Varianz":
- Varianz: Einband, Ausstattungen, Papiersorten, Selbständigkeitsgrade (versch. Ausgaben), Formate.
- Identisch bleiben: Typen.


Das wichtigste Merkmal der satzindifferenten Varianz ist, wie bereits erwähnt, dass Varianz nicht durch Veränderung des Satzes entsteht, sondern durch die Verwendung unterschiedlicher Materialien und deren Auswirkungen auf das Druckbild. Das sind beispielsweise wechselnde Einbände, Ausstattungen, Papiersorten, Selbständigkeitsgrade, oder Formate: alles außertextliche Merkmale, die aber Satz- und Textverderbnis zur Folge haben können und Anlass zu Korrekturen geben können; identisch bleiben die Typen, auch in der richtigen Reihenfolge der Typen.

Aber auch andere Gründe können für ein unterschiedliches Erscheinungsbild des Drucks verantwortlich sein, ohne dass es sich um Neusatz oder satzinterne Varianz handeln muss: So war es in Offizinen zum Zwecke der Rationalisierung üblich, einen Satz in mehr oder weniger großem Umfang neu auf Druckformen umzuverteilen, um z.B. eine Prachtausgabe oder eine Folioausgabe herzustellen, oder den Satz des einzelnen Werks für den Druck der Gesamtausgabe erneut verwenden zu können.

Es gibt 3 Möglichkeiten, verschiedene Ausgaben zu produzieren:

- kombinierte Sammel- und Einzelausgabe,
- Umschussausgabe,
- Umbruchausgabe.

Dies sieht im Detail wie folgt aus:

Merkmalsprofil der kombinierten Einzel- und Sammelausgabe:
Varianz: Kolumnentitel, Paginierung, Bogennorm.
Identisch bleiben: Typen, Zeilen (-länge + -inhalt), Durchschuss (Zeilenabstand), Kolumne.


Grund: Gleichzeitige Herstellung und Verkauf verschiedener Ausgaben, ohne neu zu setzen. Bsp: Gesammelte Werke vs. einzelnes Werk.
Die gleichzeitige Herstellung eines Textes als Einzelausgabe und als Teil eines Sammelbandes war besonders im 18. Jahrhundert häufige Praxis. Dies bedeutete: Änderung des Titelblatts, der Bogennorm, der Paginierung, der Kolumnentitel. Alles andere blieb völlig gleich. Unter anderem hat man dieses Verfahren bei Werken von Lessing und Goethe nachgewiesen. Man kann sich das so vorstellen:





Einmal wird eine Einzelausgabe von Faust hergestellt, dann verändert man Titelblatt, Seitenzahlen, etc. und verwendet denselben Satz als 3. Titel einer Goethe-Gesamtausgabe. Obwohl es sich hierbei natürlich um Satzidentität handelt, können Unterschiede in den Ausgaben festgestellt werden, denn während man beim stehenden Satz Seitenzahlen, Kolumnentitel usw. austauscht, hat man natürlich auch die Gelegenheit, eventuelle Satzfehler gleich mit auszubessern. - Und davon wurde recht häufig Gebrauch gemacht. Dasselbe gilt für die Umbruch- und die Umschussausgabe.
Mit der Umschussausgabe verfolgt man eine andere Intention:

Auch dieses Verfahren war häufige Praxis:
Hier konnte man dieselben Kolumnensätze für verschiedene Formate verwenden, indem man die Kolumnen umordnete und erneut ausschoss.
Die Durchschüsse wurden aber nicht verändert.
Am einfachsten ist die Umordnung von einem größeren Format hin zu einem kleineren. Hier ein Beispiel:


Vier Gedichtstrophen auf Bogen D werden in der Hälfte geteilt und für eine kleinere Ausgabe auf 2 Seiten verteilt.Hier sieht man auch, dass dies wie bei der kombinierten Sammel- und Einzelausgabe ebenfalls eine Änderung der Paginierung und der Bogenzählung zur Folge hat. So kann man beispielsweise eine schmalere Quartausgabe mit Prachteinband und ein umfangreicheres Gebrauchskopert im handlichen Oktavformat herstellen. Und wenn man dann auch noch dünneres Papier verwendet, wird die Taschenausgabe auch nicht zu dick.
Einen noch etwas größeren Eingriff in die Satzstruktur stellt die Umbruchausgabe dar:
Hier wird das Layout und/oder das Format nicht nur durch Teilen der Kolumnenlänge erreicht, sondern zusätzlich durch
- Änderung der Durchschüsse

Ein Beispiel: Für eine weniger umfangreiche Ausgabe hat man die Durchschüsse stark verringert. Auch möglich ist:
- Änderung der Durchschüsse, und ...- Änderung der Umbrüche
Das zeigt das nächste Beispiel: Hier wollte man die Kolumne schmaler gestalten und musste deshalb bei besonders langen Zeilen einen neuen Umbruch setzen. Noch mal in Kurzfassung: die satzindifferente Varianz kann den Satz verändern, um kombinierte Sammel- und Einzelausgaben, Umschussausgaben und Umbruchausgaben herzustellen. Gravierendere Veränderungen am Satz entstehen durch satzinterne Varianz:

8.4. Die satzinterne Varianz
Von satzinterner Varianz spricht man bei einer Veränderung des Satzes nach schon begonnenem Abdruck. Satzinterne Varianz entsteht durch punktuelle Veränderung des Satzes.
Entweder entsteht sie durch
a. die Beschädigung einzelner Typen während des Druckvorgangs (Presskorruptele), oder
b. Austausch einzelner oder mehrerer Typen (Presskorrektur).

Im Folgenden werden beide Varianten mit Beispielen dargestellt:




Presskorruptele
Presskorruptele entstehen durch Beschädigung oder Abnutzung einzelner oder mehrerer Typen während des Druckvorgangs. Hier ist das gut am Beispiel des Ausrufungszeichens mehrerer Drucke einer Ausgabe zu sehen.
In diesem Fall kann auch zweifelsfrei die Druckreihenfolge benannt werden.
PresskorrekturenPresskorrekturen entstehen durch den Eingriff des Setzers, indem dieser fehlerhafte einzelne oder mehrere Typen ersetzt. Der Setzer hat sich zunächst vergriffen, statt „t“ ein „r“. Dann folgt im weiteren Verlauf des Druckvorgangs der Ausgabe die Korrektur von „r“ zu „t“

Hier noch ein etwas kurioses Beispiel aus der sog. "B42".
Vermutlich setzte der erste Setzer Deus mit einer Abkürzung „de9“, dann muss es evtl. durch religiöse Beweggründe zu einer Ausschreibung des Wortes für Gott gekommen sein und dafür an anderer Stelle der Satz gekürzt worden sein. [2]
Warum sind nun satzinterne Varianten für die Analyse so wichtig?Die Ermittlung von satzinterner Varianz ermöglicht die Bestimmung des Urtextes.
Am oben abgebildeten Beispiel ist zu sehen, dass nur ein fehlendes Komma den Sinn des Satzes verändert.
Wenn man belegen kann, dass das fehlende Komma durch Beschädigung entstanden ist, kann man den Urtext ermitteln.
Damit kann die Buchwissenschaft einen Beitrag zur philologischen Erschließung historischer Texte leisten, wie bereits unter dem Punkt TEXTBEZOGENE DEUTUNG genannt. Diese druckspezifischen Eigenarten machen eine Ausgabe oder einen Druck einmalig. So lässt sich ein Druck identifizieren.
Noch größere Eingriffe in die Druckform gehören in den Bereich der satzdifferenten Varianz.

8.5. Die satzdifferente Varianz
Als satzdifferent werden Varianten bezeichnet, bei denen ganze Kolumnen oder größere Kolumnenteile ausgetauscht werden. Es handelt sich also um einen Teilneusatz. Grund dafür kann eine umfangreichere Fehlerkorrektur sein, es ist aber ebenso denkbar, dass Kolumnen zensurbedingt neu gesetzt wurden. Für diese Ersetzung gibt es 2 Fachbegriffe aus dem Lateinischen: Mit „Cancellans“ wird das Ersatzblatt bezeichnet, mit „Cancellandum“ meint man das ersetzte Blatt. Ganze Ersatzblätter wurden nachweislich sogar für kleinste Fehlerkorrekturen, z.B. bei der Interpunktion, eingesetzt. Bei der satzdifferenten Varianz unterscheidet man 3 Arten von Ersatzblättern:
-Einblattkarton
-Doppelblattkarton
-Titelauflage

Der Einblattkarton ist der Ersatz eines Einzelblattes. Dazu wird das Cancellandum so herausgeschnitten, das ein entsprechend großer Falz bestehen bleibt, an den das Cancellans angeklebt wird.

Als Beispiel sehen ist hier ein Titelblatt abgebildet, auf dem am rechten Rand für den Buchbinder vermerkt ist, was er ersetzen soll: … [23 Seitenrand]

Hier noch ein weiteres Beispiel: links ist die Kolumne etwas kürzer, im rechten Bild ist der obere Teil der Kolumne stehen geblieben, während man unten noch 5 Zeilen hinzugefügt hat, die sich an den Leser richten.

Der Doppelblattkarton bezeichnet einen kompletten Ersatzbogen, der nicht geklebt, sondern in die Lage eingebunden wird, so dass man die ersetzte Stelle nicht sehen kann.




Da man in der Frühdruckzeit keine mehrfach gefalzten Bogen, sondern Lagen aus mehreren einmal gefalzten Bogen verwendete, war dieser Ersatz eine einfache Möglichkeit. Hierbei können auch gleich mehrere Kolumnen ersetzt werden.

Die letzte Art der differenten Varianz ist die Titelauflage.
Hier werden ein oder mehrere Blätter zusätzlich an den Anfang des Buchblocks eingeklebt oder eingebunden.


Wichtig ist: hierbei handelt es sich nicht um eine Ersetzung, sondern:die Unterschiedlichkeit der Auflage war von Anfang an geplant. Dies wurde z.B. für unterschiedliche Titelblätter oder Widmungstexte verwendet. Neben der Herstellung druckinterner Varianten wurden auch satzdifferente Drucke hergestellt - also Neusatz.
NeusatzBezeichnend für den Neusatz ist, dass der Text der gleiche bleibt, der Satz aber neu ist.
Man unterscheidet zwei Arten des Neusatzes: Zwitterdruck und Doppeldruck.

Unter Zwitterdruck versteht Boghardt das erneute Nachsetzen eines bereits gedruckten Teils einer Auflage. Dies geschah immer dann, wenn nach begonnenem Druck entschieden wurde, die Auflage zu erhöhen. Dann musste der bereits gedruckte Teil neu gesetzt werden.

Der Doppeldruck dagegen ist ein vollständiger Neudruck. Der gesamte Text wird neu gesetzt.
Eine Spielart des Doppeldrucks ist der Raubdruck. Hier wird ebenfalls versucht, den Satz der Vorlage so exakt wie möglich zu kopieren. Dies lässt sich aber ohne weiteres heute nachweisen.
Im 18. Jahrhundert klagte Goethe über das heimliche Nachdrucken seiner Werke durch seinen Drucker. Dieser verkaufte hinter Goethes Rücken weit mehr Exemplare als vereinbart war, ohne den Autor an den Einnahmen zu beteiligen.
9. Kollationierungsmethoden und -geräte
Es gibt eine Reihe von Methoden und Geräten, mit denen man Varianz feststellen kann.
Boghardt beschreibt diese in dem Aufsatz Druckanalyse und Druckbeschreibung [4].
Zunächst sei hier eine kurze Vorstellung der Möglichkeiten - entsprechend ihrer historischen Entwicklung - gegeben:

1. Augenmaß
2. direkte Überlagerung
3. stereoskopische Methode
4. kinematographische Methode
5. Farbkontrastmethode
6. Kinematographie und Farbkontrastier
7. Verwendung digitaler Technologien

Die einfachste ist natürlich das Augenmaß. Allerdings verlässt uns die Verlässlichkeit dabei recht schnell, da viele Fehler so augenscheinlich gar nicht zu finden sind. Stattdessen hat man recht schnell erkannt, dass man die zu vergleichenden Textstellen genau übereinander liegend vergleichen muss. Das einfachste Hilfsmittel dazu stellt die direkte Überlagerung dar.
Dazu kann man 2 Blätter vor einer Lichtquelle übereinander legen. Allerdings hat das einen entscheidenden Nachteil: die Beschaffenheit des Buches und zudem die Lichtempfindlichkeit alter Bücher macht eine solche Methode kaum möglich.
Abhelfen kann man sich bei kopierbaren Büchern mit einer Kopie auf Transparentfolie. Die Kopien können allerdings evtl. ein etwas verkleinertes Abbild liefern. Zudem werden punktuelle Fehlstellen im unteren Exemplar nicht erkannt, wenn das obere an dieser Stelle ein Zeichen hat.
Eine weitere Möglichkeit zur Untersuchung ist die stereoskopische Methode.
Für diese Methode entwickelte Gordon Lindstrand den nach ihm benannten Lindstrand-Comparator, der z.B. an der Bodleian Library in Oxford genutzt wurde. Das Gerät funktioniert so, dass man durch ein Binokular blickt, wobei man mit jedem Auge eines der zu vergleichenden Exemplare sieht.
Durch dieses gespaltene Sehen erzielt man den Effekt, dass bei deckungsgleichen Stellen ein zweidimensionales Bild entsteht, bei ungleichen Stellen ist es dreidimensional, also mit Tiefenwirkung versehen.
Hier besteht die beträchtliche Gefahr, kleinere Abweichungen nicht wahrzunehmen.
Die Methode ist abhängig von der Sehfähigkeit des Betrachters und für satzinterne Varianz nicht genügend. Eine Weiterentwicklung des Lindstrand-Comparators stellt der McLeod Portable Collator dar.
Ein Auge blickt dabei in einen kleinen Spiegel, durch den man einen größeren Spiegel sieht, der das eine der beiden Druckbilder reflektiert. Das andere Auge ist direkt auf das Vergleichsbild auf dem hinteren Pult gerichtet. Vorteil ist, dass das Gerät tragbar ist; Nachteil, dass die Methode von der Sehfähigkeit des Betrachters abhängig ist. Die Wirkungen des Collators lassen sich wie folgt beschreiben:

1. horizontale Verschiebungen führen zu dreidimensionalem Effekt
2. punktuelle Satzveränderungen ohne Verschiebung bewirken Flimmern/Oszillieren
3. Überlagerung eines Zeichens und einer Leerstelle wirken hohl, unkörperlich
4. Größenunterschiede zwischen einer Kopie und dem Original können durch Justierung ausgeglichen werden.

Für die kinematographische Methode steht stellvertretend der Hinman-Collator. Er wurde bereits kurz nach dem 2. Weltkrieg für die Shakespeare-Forschung entwickelt.
Hier blicken beide Augen durch ein Binokular auf denselben Spiegel, der in der Mitte des Tisches liegt. Links und rechts liegen die Druckbilder, die über Spiegelsysteme auf dem Spiegel des Betrachters per Hand zur Deckung gebracht werden. Durch eine Wechselbeleuchtung, die man dann auslöst, erscheinen abweichende Stellen als bewegt, sie springen ins Auge.
Der Hinman-Collator bedeutet eine erhebliche Beschleunigung für den Satzvergleich. Unauffällige Varianten werden hier durch den Bewegungseffekt viel eher erkannt.
Nachteil für alle Methoden bisher ist, dass man die Originale dazu braucht, bzw. sehr gute Kopien.

Die Farbkontrastmethode „Composite Imaging“ wurde erstmals 1983 von Paul R. Sternberg und John M. Brayer beschrieben. Sie verwendet Methoden der NASA. Bei der Methode werden die Druckbilder mit einer Videokamera digitalisiert und im Computer gespeichert.
Durch Eingabe von je 4 beliebigen, abgeglichenen Koordinatenwerten werden die Proportionen vereinheitlicht. Durch verschiedenes Einfärben und Übereinanderblenden der Bilder werden die ungleichen Stellen hell oder dunkel sichtbar. Allerdings kann man beim Justieren und Eingeben der richtigen Zahlenwerte zu viele Fehler machen, die dann ein verzerrtes Bild verursachen. Ein mit der Zeit erheblich verbessertes System wurde dann in Wolfenbüttel eingesetzt.

Durch Kombination der Kinematographie und der Farbkontrastierung wurde die Methode des Composite Imaging von der Firma Soft-Imaging Software (SIS) wesentlich verbessert:
statt des Justierens durch Koordinatenwertermittlung wird dabei das digitalisierte Bild mit einem noch nicht digitalisierten Bild übereinander gelegt, indem eine an den Computer angeschlossene Kamera direkt durch das Zoomobjektiv die passende Größe bestimmt.
Dann kann man immer noch auf dem PC feinjustieren. Das noch nicht digitalisierte Bild liegt zudem auf einer Bücherwippe, deren Höhe zur Kamera flexibel eingestellt werden kann. SIS hat zudem den farbigen Bildwechsel automatisiert.
Vorteile: Größenunterschiede spielen keine Rolle, auch Kopien sind verwendbar; die Schärfeeinstellung des Binokulars entfällt, eine optische Dokumentation ist möglich.
Nachteile: mangelnde Größe, ungünstiges (Quer-)Format und geringe Auflösungsschärfe des Bildschirms lassen nur Aufnahmen von 18-20 Zeilen zu.

Mittlerweile hat sich die Technik wesentlich verbessert: neben den professionellen Buchscannern der großen Einrichtungen kann man auch mit heutzutage einfachen Methoden selbst einen guten Vergleich durchführen, z.B. der Software Photoshop oder der kostenlosen Software Gimp.



10. Notationsarten, wie Fingerprint und Lagenformeln
FingerprintDer Fingerprint ist eine Beschreibungsmethode zur Identifikation eines Drucks. Er wurde in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt und findet sich in vielen Katalogaufnahmen alter Drucke, z.B. im VD16 .


Der Fingerprint ist eine Folge von 16 Zeichen, die aus vier festgelegten Seiten eines Drucks stammen.

Regeln:
Von jeder Seite werden jeweils vier Zeichen entnommen.
Zwei aus der letzten, zwei aus der vorletzten Zeile.
Bei recto Seiten die äußersten Zeichen am rechten Rand.
Bei verso Seiten die äußersten Zeichen am linken Rand.
Folgende Seiten werden ausgewählt:
1. Gruppe: Das erste Blatt recto nach dem Titelblatt
2. Gruppe: Das vierte Blatt recto nach der 1. Gruppe
3. Gruppe: Das nächste Blatt recto nach der 2. Gruppe, wenn dieses die Seite 13 ist, sonst Seite 17 wählen. Wenn auch nicht Seite 17 vorhanden ist, also keine Paginierung vorhanden ist, dann wird das 4. Blatt recto nach der Gruppe 2 genommen.
4. Gruppe: Die Versoseite des Blattes von Gruppe 3.
Man setzt einen Indikator dazu, von welcher Seite Gruppe 3 entnommen wurde. Dabei steht 3 für Seite 13, 7 für Seite 17 und C ("counted") für den selbstgezählten Fall.
Am Ende kommt dann noch das Erscheinungsjahr des Drucks hinzu.



Hier seht ihr ein Beispiel, an dem der Fingerprint demonstriert wird. Es handelt sich um eine Ausgabe von Goethes Italienischer Reise, gedruckt 1925.
Die erste Abbildung zeigt das erste Blatt recto nach dem Titelblatt, es trägt die Seite 9. Für den Fingerprint entnehmen wir die Buchstaben d; und or. Gruppe 2 wird vom vierten Blatt recto nach der 1. Gruppe entnommen, hier Seite 17. Es sind die Buchstaben le und ie. Für Gruppe 3 kann also weder Seite 13, noch Seite 17 genommen werden, da bereits Gruppe 2 von Seite 17 entnommen wurde. Wir wählen die letzte Möglichkeit und entnehmen die Buchstaben für Gruppe 3 dem vierten Blatt recto nach Gruppe 2, hier Seite 25, d.h. die Buchstaben n. und ns.
Die 4. Gruppe wird von der Versoseite des Blattes von Gruppe 3 entnommen, hier Seite 26. Es sind die Buchstaben ne und Ei.
Hinzu kommt das C, da wir die Seite für die dritte Gruppe selbst gezählt haben. Und schließlich die Jahreszahl 1925.

Kritik:
Bei satzidentischer und satzdifferenter Varianz können sich einzelne Zeichen ändern, ohne dass sich die gesamte Ausgabe ändert. Wenn es genau die Zeichen sind, die der Fingerprint erfasst, wird so fälschlicherweise eine neue Ausgabe beschrieben. Das Beispiel der Folie zeigt einen Doppeldruck, der einen identischen Fingerprint ergeben würde, dennoch nicht denselben Satz darstellt.

Alternativen zum Fingerprint
Boghardt schlägt eine andere Methode vor, die dem Fingerprint ähnelt: die Signaturmethode. Sie wird für den Short Title Catalogue Netherlands 1540-1800 (STCN) angewandt.
Dabei werden an beliebigen Stellen die Bogensignaturen verzeichnet, sowie alle Zeichen, die sich komplett über ihnen in der untersten Textzeile befinden. Der Grund für diese Methode ist die große Freiheit, die der Setzer bei der Positionierung der Bogensignatur hat, denn in der Zeile steht höchstens noch die Reklamante, sonst nichts.



Neusatz ist deshalb sehr leicht zu erkennen. Es gibt bei dieser Methode allerdings mehrere Probleme:
- Wie entscheidet man, ob ein Zeichen über der Signatur wirklich genau darüber steht, oder nur zum Teil und dann nicht mit verzeichnet wird?
- Es könnte an genau der verzeichneten Stelle eine Presskorrektur vorliegen.
- Signaturen mit ganz geringer Positionsvarianz könnten fälschlicherweise zur Annahme von Identität führen.
- In seltenen Fällen „wandert“ eine Signatur im Laufe des Druckprozesses. Fingerprint und Signaturmethoden beschränken sich auf wenige Kontrollproben.

Daneben beschreibt Boghardt zwei andere Möglichkeiten:

Die erste ist die so genannte Variantenmethode:
Sie setzt eine detaillierte Vergleichsarbeit voraus und verzeichnet nur einige bekannte Textvarianten verschiedener Sätze, d.h. man greift auf einer beliebigen Seite die Wörter heraus, die unterschiedlich sind und notiert diese gegenüberstellend. Für diese Methode gibt es 2 Voraussetzungen: 1. Es müssen Neusatzvarianten sein. 2. Alle noch existierenden Sätze eines Drucks müssen je 1x vorliegen, auch als Kopie möglich. Das ist also kaum mit Sicherheit feststellbar.

Als letzter Boghardtscher Vorschlag sei die Kopiermethode genannt, d.h. die abbildende Wiedergabe von Satzproben!
Diese Methode ist gewiss am sichersten und von jedem Forscher nach Belieben weiter zu verwenden. Der VD17 bietet diese Methode bereits zu den meisten Werken an, indem er wenigstens das Titelblatt, meist sogar 3-4 Probeseiten als digitales Foto abbildet.
Lagenformel
Zum Schluss gibt es noch eine Art der Notation, um Varianten wie satzdifferente Varianz oder den satzdifferenten Druck, sowie um die Struktur und Vollständigkeit der Lagen festzuhalten.
Dazu gibt es die „Lagenformel“, wobei man eigentlich „Lagenformeln“ sagen müsste, weil verschiedene Kodierungen existieren - was eine einheitliche und allgemein verständliche Beschreibung nicht gerade einfach macht. Und: Wenn man alle Eventualitäten berücksichtigen will, dann ist es recht kompliziert. Zunächst werden nur die Merkmale vorgestellt, bei denen sich die Forscher einig sind, und die auch die wichtigsten Beschreibungswerkzeuge darstellen.




Das wichtigste ist sicherlich die Verwendung des Alphabets: Bei der Lagenzählung fallen die Buchstaben J (=I), U (=V), W weg; das Alphabet besteht also aus 23 Buchstaben. Man sollte das zur Sicherheit aber kontrollieren: in seltenen Fällen ist der ein oder andere der drei fehlenden Buchstaben doch dabei.
Am Anfang steht die Formatangabe mit einem Doppelpunkt.
Dann folgen die Lagensignaturen als genaue Wiedergabe.
Die Anzahl der Einzelblätter einer Lage wird mit Hochzahlen hinter dem Buchstaben angegeben.
Mehrfachbuchstaben werden mit arabischen Ziffern vor dem Buchstaben notiert. Häufig werden Sonderzeichen für den ersten Bogen mit Widmung, Titel, Inhalt, Register, etc. verwendet: *, &, ( ), oder gar keine Signatur. Sonderzeichen werden übernommen. Eine fehlende Signatur wird mit eckiger Klammer (nach RAK-WB) oder kursiv (nach Gaskell) ergänzt.


11. Fazit
Die Analytische Druckforschung macht deutlich, dass jeder Druck aus dem Zeitalter des Handsatzes einmalig ist. Durch Erfassen der Varianten und durch die Kollationierung aller Druckvariationen einer Ausgabe können so Aussagen über den Herstellungsprozess, den Herstellungsort, das Druckdatum, die Beschaffenheit des Originaltextes und über die Zugehörigkeit zu einer Ausgabe getroffen werden. Für das Arbeiten mit Altbeständen ist dies eine wertvolle Technik für die Bestimmung, ob es sich um ein Original (z.B. eine Erstausgabe) oder eine bestimmte andere Ausgabe, handelt oder nicht.
Um dies zu überprüfen, reicht es, sich Kopien des Drucks von einer besitzführenden Bibliothek schicken zu lassen und sie dann mit den Aufnahmen des eigenen Exemplars zu überprüfen.
Die Verwendung des Grafikprogramms Gimp liefert das technische Gerüst für den Vergleich des Druckbildes. Auch weitere Methoden der Analytischen Druckforschung, wie der Vergleich von Lagenstruktur, Wasserzeichen und Makulatur ermöglichen detailliertere Aussagen über den Druck.
Die Analytische Druckforschung sammelt Indizien, um Hypothesen zu festigen. Indizien sind bekanntlich weniger als Beweise, aber mehr als Behauptungen.
Daher kann erst ein Bündel an Merkmalen, wie Papiersorte, Lagenstruktur, Makulatur, Einband, aber auch Typensatz und Druckbild eine Hypothese festigen und beispielsweise der Druckort und das Druckjahr bestimmt werden.
Diese Herangehensweise mit allen Sinnen macht aber den besonderen Reiz der Arbeit mit Altbeständen aus.

12. Literaturauswahl
Im folgenden sind die wichtigsten Werke für die Erstellung dieses Textes aufgeführt. Eine ausführlichere Literaturliste ist dem entsprechenden Punkt in der allgemeinen Literaturliste auf dieser Homepage zu entnehmen.
1. Entnommen aus: Pianos, Tamara: Das Canterbury Tales Project. Herausforderungen und Erkenntnisse durch Digitalisierung, Transkription und Computeranalyse mittelalterlicher Manuskripte. In: Bibliothek und Wissenschaft 36 (2003), S. 95-150. S. 109, Fußnote 31.2. Tomioka, Mari: Fine Detail: Collating the Gutenberg Bible with Digital Images. Keio-University, Japan: MA 2001.3. Boghardt, Martin: Analytische Druckforschung. Ein methodischer Beitrag zu Buchkunde und Textkritik. Hamburg: Hauswedell 1977.4. Boghardt, Martin: Druckanalyse und Druckbeschreibung. Zur Ermittlung und Bezeichnung von Satzidentität und satzinterner Varianz. In: Gutenberg-Jahrbuch 1995. S. 202-220.5. Haebler, Konrad (1905): Typenrepertorium der Wiegendrucke (6 Bde.). Halle: Rudolf Haupt 1905. (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten). Signatur: GM H 6.


(Verf.: André Horch, Christina Schmitz)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Zur Stelle:
"Hier noch ein etwas kurioses Beispiel aus der sog. "B42". Vermutlich setzte der erste Setzer Deus mit einer Abkürzung „de9“, dann muss es evtl. durch religiöse Beweggründe zu einer Ausschreibung des Wortes für Gott gekommen sein und dafür an anderer Stelle der Satz gekürzt worden sein. [2]"

Es ist genau anders herum: Zuerst stand deus, aber das m am Zeilenende bei "co/medam" musste weg, weil falsch getrennt. Grundwort ist "com-edere", auch in den Ableitungen muss stets nach "com"[-edam] getrennt werden.
Nomina sacra werden häufig (meist?) gekürzt, es gibt keinen religiös motivierten Zwang zur Ausschreibung.
GH